„Ihre Bücher sollte man verbrennen!“, mailte Herr Feng Chang. „Sie verbreiten Lügengeschichten über die glorreichen Seefahrer!“, meldete sich Frau Elvira Lange aus Ulm.
Mit einem derartigen Shitstorm hatte ich nicht gerechnet! Was war geschehen?
In der Australien-Geschichte ‚Leutnant Cook‘ hatte ich meine Enttäuschung über die ‚angebliche‘ britische Entdeckung von Terra Australis 1770 geäußert: Bereits 100 Jahre vor James Cook kartierten die Niederländer den Westen von Australien und nannten den Kontinent Neuholland. Der Spanier Luiz Váez de Torres erkundete gar 1608 die Meeresenge zwischen Australien und Neu Guinea. Und der Portugiese Christovao de Mendonca ankerte angeblich 1522 in der Botany Bay – fast 250 Jahre vor James Cook!
Zugegeben: mein Wissen bezog ich aus Büchern wie ‚Helden der Seefahrt‘, die überwiegend von den europäischen Kolonial-Eroberungen seit Heinrich dem Seefahrer 1427 berichteten. Ich habe aber auch auf die Seereisen des großen Zheng He erwähnt: Der chinesische Admiral erkundete um 1400 die Meere von China bis Afrika mit 300 Schiffen und 28.000 Mann Besatzung: ‚Spekulationen ob Teile der Flotte Terra Australis erreichten, reißen nicht ab.‘. Zudem berichtete ich über die Hieroglyphen von Gosford, die einige Experten als Beleg für die Anwesenheit der Phönizier in Australien vor 3000 Jahren halten.
Gern bin ich bereit, die Shitstorm-Vorwürfe zu untersuchen.
Viele Zuschriften habe ich wegen der Ausführlichkeit und Verbalinjurien gekürzt.
Beginnen wir mit der moderaten Belehrung von Uwe Golz – nach eigenen Angaben ‚Navigator aus Leidenschaft‘:
„Bei all Ihren Beschreibungen haben Sie vergessen, dass es den modernen Menschen seit seiner Werdung vor 200.000 Jahren immer zum Wasser zog. Ob Flüsse, Seen oder dem Meer: Fische und Schalentiere gehörten seit eh und je zu seinem Speiseplan. Angelgeräte aus Holz oder Horn waren leicht zu fertigen. Funde von Netzen, Reusen, Fischspeeren und Harpunen belegen diese Aktivitäten der Urmenschen. Was lag näher, Flösse oder Boote zu bauen, um bessere Fischgründe zu erreichen und sie bei der Ausbreitung der Menschheit auf der Erde zu nutzen.“
Ähnlich argumentiert Klaus Hohmann: „Thore Heyerdahl bewies mit der Kon-Tiki, wie die frühen Menschen Meere überquerten. Aus Bambusbooten wurden Galeeren oder Koggen. Lange vor der Erfindung des Kompasses durch die Chinesen waren die Menschen fähig, sicher in unbekannten Gewässern zu navigieren. Ich nenne nur das Wave-Piloting, bei dem Wellenformationen, Wind- und Wasserströmungen in ‚Stabkarten‘ eingetragen wurden. Die Urvölker beobachteten Vögel, Fische oder die Biolumineszenz von Quallen. Die Sterne halfen bei der Navigation...“
Eva Groß weiß: „Die Seewege rund um den Globus waren schon lange vor den europäischen Entdeckern bekannt. Dass die Erde rund ist, wussten die Urastronomen aus der Beobachtung des Himmels. Der griechische Gelehrte Eratosthenes berechnete 240 vor Christus den exakten Umfang der Erde mit 40.000 Kilometern!“
Herbert Schmidt ereifert sich: „Mit ihrer Geschichte verglorifizieren sie den Kolonialismus der Europäer! Den Portugiesen, Spaniern, Holländern oder Briten ging es nie um Entdeckungsreisen! Einziges Ziel war es, fremde Länder zu erobern, die dort lebenden Menschen zu unterdrücken, auszuplündern und zu missionieren.“
Olaf Carlsson wird in seiner Kritik deutlicher: „Für mich sind die Wikinger die besten Seefahrer. Leif Eriksson entdeckte 500 Jahre vor Christoph Columbus Amerika!“
Aus der Zuschrift von Feng Chang habe ich die Schimpftiraden entfernt: „Lange vor den Reisen von Admiral Zheng He haben die Chinesen die Meere beherrscht. Erwähnen will ich nur an den großen Entdecker Daxi Hongtong, der um 674 n. Chr. die Arabischen Halbinsel erreichte und 35 Länder erkundete!“
Frau Elvira Lange glaubt: „Hanno der Seefahrer war der größte Nautiker aller Zeiten! Der Phönizier erkundete 470 v. Chr. die Meere von Gibraltar bis zum Golf von Guinea.“
Erwin Brandt erklärt: „Auf den Mittelmeerinseln Kreta, Zypern und Mallorca lebten bereits vor 8000 Jahren Menschen. Auch wenn der Meeresspiegel damals niedriger lag, sind die sicher nicht dahin geschwommen. Die Minoer segelten ab dem 2. Jahrtausend vor Christus mit Plankenschiffen und beherrschten das Mittelmeer mit einem Handelsnetz von Syrien bis Ägypten.“
Und Herr Kunze ist überzeugt: „Die aus Taiwan stammenden austronesischen Völker waren die besten Seefahrer! Nach dem ‚Out of Taiwan‘-Modell besiedelten die Austronesier mit hochseetüchtigen Segelbooten zwischen 3000 und 1500 vor Christus die Philippinen, Borneo und Indonesien. Um 1000 v. Chr. erreichten sie Ozeanien, Melanesien bis nach Tahiti. In einer weiteren Welle siedelten sie in Tahiti (700 n. Chr.), Hawaii (900), und Neuseeland (1300) …“
Okay, ich habe verstanden!
Lange vor den europäischen Entdeckern wie Ferdinand Magellan, Amerigo Vespucci und Christoph Kolumbus überwanden die Urvölker die Meere!
Dass die Erde rund ist, wussten bereits die alten Griechen.
Die nautischen Grundlagen sind seit Jahrtausenden bekannt.
Jetzt drehe ich den Spieß einfach herum:
Der moderne Mensch entwickelte sich vor rund 200.000 Jahren in Afrika. Nach aktueller Erkenntnis wanderte eine erste Gruppe vor 70.000 Jahren über die arabische Halbinsel Richtung Indien und Indonesien aus.
Die ältesten Nachweise des modernen Menschen außerhalb von Afrika fanden Forscher der Australian National University am Ufer des ausgetrockneten Lake Mungo – 760 Kilometer westlich von Sydney. Die Überreste des Mannes und der Frau werden auf Alter von 40.000 Jahr datiert. Daraus leiten Experten ab: Die erste Gruppe des Homo Sapiens erreichte vor 50.000 Jahren Australien.
Ungelöst ist die exakte Reiseroute der Ureinwohner Australiens. Klar ist: Trotz Schwankungen des Meeresspiegels gab es nie eine Landbrücke zwischen Indonesien und dem Fünften Kontinent! Um das Meer zu überwinden, mussten die damaligen Menschen eine Seestrecke von 100 bis 400 Kilometern zurücklegen.
Das bedeutet: die australischen Ureinwohner waren die ersten Seefahrer aller Zeiten!
In einer zweiten Out of Afrika-Welle besiedelte der Homo Sapiens vor 50.000 Jahren Europa und Asien. Auch für diese Gruppe waren Meerengen wie der Bosporus oder die Straße von Gibraltar (14 Kilometer) kein Hindernis.
Kopfzerbrechen bereitet allerdings die Frage: ‚Wie kam der moderne Mensch nach Amerika?‘
Bis vor einigen Jahren gingen die Experten davon aus: die ersten Menschen erreichten vor 11.000 Jahren – von Ostasien kommend – über die damals bestehende Landbrücke der Beringstraße den amerikanischen Kontinent. Anschließend verbreiteten sie sich bis Mittel- und Südamerika.
Das Einreisedatum ist deshalb so wichtig, da bis vor 11.500 Jahren Gletscher und Eisbarrieren den Zugang nach Nordamerika unmöglich machten. Irritiert reagierten die Wissenschaftler daher, als in Südamerika menschliche Spuren vor diesem Datum auftauchten. Neue Theorien wurden geboren: Seefahrer aus Japan und Ostsibirien erreichten vor 15 bis 20.000 Jahren entlang der Küsten den amerikanischen Kontinent!
Völlig ratlos reagierten die Experten, als Forscher im US-Bundesstaat New Mexiko 60 menschliche Fußspuren fanden, die 23.000 Jahre sein sollen. Andere Experten schätzen, Knochenfunde in Monte Verde an der Küste Chiles seien gar 30.000 Jahre alt. – Wie sind die Menschen dorthin gelangt? Die Wissenschaft hat keine Erklärung!
Für noch mehr Verwirrung sorgten 2015 Studien, die in den seriösen Wissenschaftsmagazinen Science und Nature veröffentlicht wurden. Danach sind einige Indianerstämme in Südamerika genetisch nahe mit den australischen Ureinwohnern verwandt! – Sollten die Indigeous Australians wirklich den Pazifik überquert und zur Besiedlung Amerikas beigetragen haben?
Bevor die Down-Under-Fans die australischen Ureinwohner zu den genialen Seefahrern aller Zeiten hochjubeln, muss ich Wasser in den Wein gießen: Forscher fanden erst kürzlich heraus, dass die Seefahrt keine Erfindung des modernen Menschen ist! Bereits vor 777.000 Jahren besiedelten vormoderne Homininen die Inseln der Philippinen!
Damit ich keinen weiteren Shitstorm einfange, entschuldige ich mich daher schon vorab bei allen Anhängern der Homo rudolfensis, Homo ergaster oder Homo erectus: Sicher beherrschten auch diese Frühmenschen die Seefahrt!