Gern erinnere ich mich an Cathy und Trevor. Meine Frau und ich hatten das Ehepaar vor Jahren in Sydney kennengelernt. Cathy arbeitete als Biologin an der Uni; ihr Mann war Zeitungsfotograf. Nach Abschluss der beruflichen Karrieren verlegten sie ihr Domizil in den äußersten Nordosten von New South Wales nach Byron Bay. Bei unseren zahlreichen Australien-Reisen durfte ein Besuch bei Cathy und Trevor nicht fehlen.
Nun gibt es viele Erinnerungen, über die ich berichten könnte. Am nachhaltigsten waren jedoch unsere Gespräche über die ‚Vogelwelt in Australien‘.
Cathy liebte alles, was Federn hatte und fliegen konnte. Ihr Regal stand voll mit Publikationen zum Thema ‚Ornithologie‘. Das Buch ‚Field Guide to the Birds of Australia‘ von Graham Pizzey lag stets in Griffweite. Als Mitglied der Facebook-Gruppe ‚Australian Native Birds‘ informierte sie sich über das aktuelle Geschehen.
Trevor betrachtete die Vögel lieber durch die Fotolinse und war bekannt für seine launigen Kommentare.
Mein bruchstückhaftes ornithologisches Wissen erwarb ich bei den Recherchen zum Verschwinden des deutschen Entdeckers Ludwig Leichhardt. Einer seiner früheren Expeditionsteilnehmer war John Gilbert, der bei einer Aborigine-Attacke getötet wurde – doch das ist ein anderes Thema.
Als ich Cathy von meinen Recherchen berichtete, sprudelte es aus ihr heraus: „John Gilbert war Assistent des legendären britischen Ornithologen John Gould. Während der Reisen sammelte Gilbert 432 Vogel-Bälge, darunter viele nur in Australien bekannte Arten. Sein Chef brachte 1848 das Werk ‚Birds of Australia‘ heraus, in dem 600 Arten australischer Vögel beschrieben wurden.“
Trevor mischte sich ein: „Unsere Vogelwelt faszinierte sehr früh die Wissenschaftler in Europa. John Latham, der ‚Großvater der australischen Ornithologie‘ publizierte bereits 1781 ein Buch in England. Latham reiste nie auf den Fünften Kontinent. Er nutzte die Aufzeichnungen und Mitbringsel von William Dampier und Sir Thomas Banks.“
Cathy nickte zustimmend: „Als erster australischer Künstler veröffentlichte John Lewin 1808 das Werk ‚Birds of New Holland‘ in London. Unglücklicherweise gingen bei einem Sturm alle für ihn bestimmten Exemplare über Bord. Kurzerhand druckte Lewin die zweite Auflage in Sydney – das war das erste illustrierte Buch, das in Australien produziert wurde.“
„Lewin muss ein Hallodri gewesen sein“, schmunzelte Trevor: „Bei der Überfahrt von England nach Botany Bay verpasste er das Schiff – obwohl seine Frau bereits an Bord war. Ihr könnt euch das Gezeter vorstellen, als er ein halbes Jahr später seine Gattin in Sydney begrüßte.“
Kein Abend verging ohne Cathys sachkundige Vorträge: „Australien war über Millionen Jahre von den anderen Kontinenten isoliert. Da es keine Landbrücken gab, entwickelten sich bei den Säugetieren im Laufe der Jahrtausende völlig eigene Spezies, wie Beutelsauger, Kloakentiere und Amphibien. Anders sieht dies bei den gefiederten Tieren aus: Mühelos überwanden diese Meere und Inseln. Da wir am sonnigen Ende der Flugroute von Sibirien und Alaska über Südostasien liegen, überwintern Millionen von Zugvögeln in Australien. Doch von den 900 Vogelarten, die wir in Australien kennen, ist die Hälfte endemisch – das heißt, ihre Art kommt nirgendwo sonst auf der Welt vor!“
Trevor ergänzte: „Unsere Vögel lassen sich einteilen in ‚alte Endemiten‘ wie Emus, Kasuare und Kakadus. Eine weitere Gruppe bildet die Krähen-Familie. Hinzu kommen ‚eurasische Kolonisten, wie Schwalben, Lerchen und Drosseln. Jüngere Importe sind Stieglitz und Grünfink, die europäische Siedler mitbrachten. Und nicht zu vergessen die Millionen von Zug- und Seevögeln!“
Praktische Erfahrung zur Vogelkunde sammelten wir bei Ausflügen rund um Byron Bay. Bei den Autofahrten kam eine Konversation schwerlich zustande. Zu häufig rief Trevor: „Schaut, auf zwei Uhr“ oder „Seht ihr die wunderschönen Birds auf neun Uhr.“ Seine Frau erläuterte: „Den ‚Tick‘ mit der Uhr hat Trevor vom Militär mitgebracht.“
In den Pausen organisierte Cathy Picknicks in der freien Natur. Stilvoll (mit Tischdecke) kredenzte sie Salate, Pies, Chicken und Säfte. Dabei kommentierte sie alle gefiederten Freunde ringsum in Büschen und Bäumen: Sie nannte Namen wie Ostriches, Kasuare und Emus. Sie erklärte den Unterschied zwischen Kakadus und Papageien. Und endete: „Der bekannteste australische Vogel ist aber wohl der Kookaburra – den ihr den ‚Lachenden Hans‘ nennt.“
Trevor heiterte die Runde auf: „Doch es gibt noch kuriosere Vögel in Australien! Im Wäldchen hinter unserem Haus in Sydney nistete ein Lyerbird-Pärchen. Das konnte 24 Vogelstimmen imitieren! Wenn ich fotografierte, machte das Männchen das Klicken meiner Kamera nach. Arbeitete ich mit der Motorsäge, kamen ähnliche Geräusche aus dem Lyerbird-Nest.“
Da ich Trevor nicht alle Geschichten glaube, recherchierte ich später: ‚Der Leierschwanz besitzt das ausgeprägteste Stimmorgan aller Singvögel. Er verfügt über ein unerreichtes Potential zur Nachahmung von Geräuschen jeglicher Art.‘
Natürlich mussten wir nach jeder unserer Reisen rund um Australien über die Erlebnisse berichten. Meine Frau erzählte begeistert über den Besuch in Alice Springs: „Hunderte von Vögeln mit rosa und grauem Gefieder saßen in den Bäumen im ausgetrockneten Flussbett des Todd River. – Ein Schauspiel, das ich nie vergessen werde.“
Die Biologin bestätigte umgehend: „Das sind unsere Galahs! Der Rose-Breasted Cockatoo ist die häufigste Kakadu-Art in Australien.“
Dramatisch beschrieb ich die Schar von Flughunden in Katherine Gorge: „Die Riesenvampire hingen kopfüber in den Bäumen. Beim Anblick dieser Vögel lief mir Schauder über den Rücken…“
Doch Cathy belehrte mich: „Flying Foxes sind keine Vögel, sondern Säugetiere!“
Trotzig erzählte ich von unserem Erlebnis im Windjana Gorge National Park in den Kimberleys: „Am Lennard River wollte ich die Süßwasserkrokodile fotografieren. Am Rundwanderweg entlang des Flusses beobachteten uns unzählige weißer Kakadus …“
Cathy juchzte frohlockend: „Das waren bestimmt Blue-Eyed Cockatoos. Die Nacktaugenkakadus bilden riesige Schwärme. Ihre Körperlänge beträgt bis zu 40 Zentimetern, die Grundfarbe des Gefieders ist durchgängig weiß …“
Ihr Ehegatte stoppte die Begeisterung: „And they shit like hell!“
Nachdem ich mit einem Wisch über die Schulter die Bemerkung bestätigte, tröstete mich Trevor: „Sei froh, dass Kühe nicht fliegen können!“
An einem der letzten Abende in Byron Bay fragte ich: „Stimmt es, dass eure Magpies zwar wie unsere Elstern aussehen, aber in Wirklichkeit Krähen sind?“
Cathy schmunzelte: „Ähnlich wird es dir mit den Robins ergehen. Sie sehen zwar aus wie die Rotkehlchen in Europa, gehören aber zur Familie der Krähen. Genauso ist es bei den Wrens, die eurem Zaunkönig ähneln.“
Ein wenig verwirrt stellte ich das Weinglas ab. Erklärend fügte Cathy hinzu: „Experten bezeichnen dieses erst jetzt entdeckte Phänomen als ‚konvergente Evolution‘! Aufgrund der Ähnlichkeit hatten die frühen Forscher unseren schwarz-weiß gefiederten Vogel als Magpie oder Elster tituliert. Mit der heutigen DNA-Technologie fanden die Wissenschaftler heraus, dass es keine genetische Übereinstimmung der beiden Vogelarten gibt. Entscheidend ist nicht die Verwandtschaft, sondern der Lebensraum...“
Hilfesuchend richteten sich meine Augen an Trevor. Doch aus seinem Sessel hörte ich nur ein leises Schnarchen. Cathy verfolgte meinen Blick und giftete ihren Ehemann an: „Interessieren dich meine Ausführungen nicht?“
Ein Ruck ging durch Trevors Körper und er entschuldigte sich: „Sorry love, I am just resting my eyes!“
Leider endete damit das informative Gespräch. Aber ich bin sicher, Cathy wird beim nächsten Besuch das Thema der ‚konvergenten Evolution‘ vertiefen.
ENDE